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Online-Razzia: Behörden säen Klima der Angst


Wirtschaft begrüßt Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu Online-Durchsuchungen: Kontrollobsessionen des Staates schaden der Gesellschaft
Nach Ansicht von eco sinkt das Vertrauen der Anwender in Online-Anwendungen von Behörden wie zum Beispiel die elektronische Steuererklärung ELSTER


(28.02.08) - Der Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) in Köln begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.02.08 in Sachen Online-Durchsuchung und fordert den Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene auf, jetzt entsprechende Gesetzgebungsverfahren zurückzustellen und zunächst gründlich über die Risiken und Probleme dieser Ermittlungsmethode nachzudenken. "Die Politik darf jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen und gleich morgen nach Wegen suchen, das Verdikt aus Karlsruhe listenreich zu umschiffen. Das gebietet schon der Respekt vor dem höchsten Gericht, aber mehr noch ein Blick auf die Risiken dieser zu Recht höchst umstrittenen Ermittlungsmethode. Auf dem Spiel steht nicht zuletzt das Vertrauen in die Nutzung des Internets und der Neuen Medien, und damit auch die Akzeptanz von E-Business, E-Health und E-Government-Anwendungen", mahnt eco-Vorstandsvorsitzender Professor Michael Rotert.

Technisch gesehen sei eine Online-Durchsuchung nichts anderes als erfolgreiches Hacking. Der Staat nutze vorhandene Sicherheitslücken in Programmen der Verdächtigen, um die Überwachungssoftware ("Bundestrojaner") einzuschleusen. Damit setze er sich dem Verdacht aus, sein Wissen um diese Sicherheitslücken geheim zuhalten und damit auch unbescholtene Internetnutzer zu gefährden. Zudem sinke nach Ansicht von eco das Vertrauen der Anwender in Online-Anwendungen von Behörden wie zum Beispiel die elektronische Steuererklärung ELSTER.

Auch die Internetwirtschaft sei betroffen: "Wird der Provider eines Verdächtigen derart 'durchsucht', hat er einen erheblichen Image-Schaden zu befürchten. Und das zu recht. Online-Dienstleistungen sind gewissermaßen die Nervenfasern der Informationsgesellschaft. Sicherheit und Vertrauen in die Nutzung dieser Dienste sind unverzichtbar, nicht nur für den wirtschaftlichen Erfolg unserer Branche, sondern auch für den unserer Kunden", so Rotert. Es wäre leichtfertig und verantwortungslos, dies für die angeblich nur zehn geplanten Online-Durchsuchungen im Jahr aufs Spiel zu setzen.

Karlsruhe hat auch nach Meinung von Tobias Janßen, Vorstandschef der Düsseldorfer Beteiligungsgesellschaft Goldfish Holdings, der Politik einen kräftigen Warnschuss verpasst für seine Kontrollobsessionen: "Mit den heimlichen Online-Durchsuchungen säen die Behörden ein Klima der Angst und des Misstrauens. Unter dem Banner der Sicherheit engen Politiker wie Schäuble die Freiräume des Bürgers immer mehr ein. Hier haben die Karlsruher Verfassungsrichter eine wegweisende Entscheidung getroffen. Der Schutz der Privatsphäre und die Unverletzlichkeit der eigenen vier Wände sind elementare Stützpfeiler der Freiheitsrechte jedes Einzelnen. Die Blockwartmentalität der Politik schadet der Gesellschaft und führt zu einer wuchernden Kontrollbürokratie, die für Bürger, Konsumenten und Unternehmen nicht mehr tragbar ist". Zu prüfen wäre Janßen zufolge auch, ob Bundesbehörden nicht schon längst Online-Durchsuchungen im großen Stil vornehmen würden, die der Bundesinnenminister nur nachträglich legitimieren wolle. "Das könnte verfassungsrechtlich unangenehm werden".

Der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) fordert neben der gerichtlichen Genehmigungspflicht für Online-Durchsuchungen umfassende Transparenz- und Aufklärungsauflagen, die auch die Möglichkeit des Schadensersatzes vorsehen, falls das Computersystem eines Unternehmens durch den Zugriff der Sicherheitsbehörden ungerechtfertigt beeinträchtigt oder beschädigt wird.

Magnus Kalkuhl, Virus Analyst, Kaspersky Lab, erklärte zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes: "Auf unsere Arbeit als Antiviren-Unternehmen wird dies keinen Einfluss haben. Wie bereits in der Vergangenheit mehrfach geäußert, gilt auch weiterhin: Letztlich müsste ein staatlich finanzierter Trojaner mit den gleichen Methoden arbeiten wie die Spyware von Malware-Schreibern - und würde damit mit hoher Wahrscheinlichkeit von unseren proaktiven Schutzmaßnahmen (Code-Heuristik, verhaltensbasierte Heuristik etc.) als potentiell gefährlich gemeldet. Eine namentliche Einstufung als "Bundestrojaner" hingegen wäre natürlich nicht möglich, da letztlich nur das Verhalten, nicht aber der Autor eines Trojaners bestimmt werden kann - und es ist unwahrscheinlich, dass die Behörden ein AV-Unternehmen freiwillig mit Mustern ihrer Werkzeuge beliefern."
(ne-na.de: cm.de: Kaspersky: ra)

Das Urteil im Wortlaut: siehe http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20080227_1bvr037007.html

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