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Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland


Freier Kapitalverkehr: Kommission verklagt Deutschland wegen Nichtbefolgung des EuGH-Urteils zum VW-Gesetz erneut
Deutschland habe es versäumt habe, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um dem Urteil des Gerichtshofs vollständig nachzukommen

(01.12.11) - Die Europäische Kommission hat beschlossen, Deutschland erneut vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen, weil einem früheren Urteil des Gerichtshofs zum Volkswagen-Gesetz nicht vollständig entsprochen worden sei.

In seinem Urteil aus dem Jahr 2007 erklärte der Gerichtshof einige Bestimmungen des Gesetzes zur Privatisierung von Volkswagen aus dem Jahr 1960 für nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Der Gerichtshof hatte festgestellt, dass die betreffenden Bestimmungen dem deutschen Staat (dem Land Niedersachsen und unter Umständen auch dem Bund) ungerechtfertigte Sonderrechte verleihen, und dass Deutschland mit der Beibehaltung dieser Vorschriften gegen die in Artikel 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verankerte Kapitalverkehrsfreiheit verstößt.

Da Deutschland es versäumt habe, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um dem Urteil des Gerichtshofs vollständig nachzukommen, hat die Kommission nun beschlossen, den Gerichtshof erneut mit diesem Fall zu befassen und die Verhängung von Strafgeldern gegen Deutschland zu beantragen, und zwar in Höhe von 31.114,72 EUR täglich für den Zeitraum vom ersten Urteil des Gerichtshofes bis zu dessen Befolgung durch Deutschland bzw. bis zum zweiten Urteil, falls dieses vorher ergeht, und in Höhe von 28.2725,10 EUR täglich für den Zeitraum vom zweiten Urteil bis zu dem Zeitpunkt, an dem Deutschland das VW-Gesetz mit dem EU-Recht in Einklang gebracht hat.

Hintergrund:
Das VW-Gesetz aus dem Jahr 1960 verlieh den deutschen Behörden besondere Befugnisse. Es sah die obligatorische Vertretung staatlicher Stellen im VW-Aufsichtsrat vor, gewährte insbesondere dem Land Niedersachsen eine Sperrminorität von 20 Prozent und enthielt eine Stimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozent. Nach Auffassung der Kommission standen diese Bestimmungen im Widerspruch zu der im EU-Vertrag verankerten Freiheit des Kapitalverkehrs, da sie den deutschen Behörden die Möglichkeit gaben, wichtige Transaktionen, z. B. grenzübergreifende Investitionen innerhalb der EU, zu blockieren. Die Kommission leitete daher 2001 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein.

Der Standpunkt der Kommission wurde vom EU-Gerichtshof bestätigt. Am 23. Oktober 2007 urteilte dieser in der Rechtssache C-112/05 , dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie die Vertretung der öffentlichen Hand, die Stimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozent und die Sperrminorität von 20 Prozent im Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk GmbH in private Hand vom 21. Juli 1960 beibehalten hat, gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag zur Freiheit des Kapitalverkehrs verstoßen hat.

Im Dezember 2008 ist ein Gesetz zur Änderung des VW-Gesetzes in Kraft getreten. Damit wurden zwar die obligatorische Vertretung der öffentlichen Hand im VW-Aufsichtsrat und die Stimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozent aufgehoben, die Sperrminorität von 20 Prozent für das Land Niedersachsen blieb jedoch unangetastet. Es wurde auch keine Änderung an dem Teil der Satzung von VW vorgesehen, der dem VW-Gesetz entsprechende Vorschriften zur Mehrheitsbeschlussfassung vorsieht und die vom Gerichtshof im vorliegenden Fall als staatliche Maßnahme eingestuft wurden. Beide Punkte wurden in der Folge durch die Änderungen des VW-Gesetzes nicht ausgeräumt.

Artikel 260 AEUV bietet keine Handhabe dafür, Teilaspekte einer Gerichtshofsentscheidung aus dem Gesamtkontext herauszulösen. Die Mitgliedstaaten haben alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um einem Urteil des Gerichtshofs in vollem Umfang nachzukommen. Daher hat die Kommission zunächst am 4. Juni 2008 ein Fristsetzungsschreiben an Deutschland gerichtet und am 27. November 2008 beschlossen, als Folgemaßnahme Deutschland eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Artikel 260 AEUV (ex- Artikel 228 EG-Vertrag) zu übermitteln. Obwohl in zahlreichen Kontakten auf allen Ebenen und mit all wichtigen Beteiligten versucht wurde, die Vereinbarkeit des VW-Gesetzes mit dem EU-Recht herzustellen und eine zweite Klage zu vermeiden, lehnten die deutschen Behörden im Sommer 2011 weitere Änderungen am betreffenden Gesetz ab.

Freier Kapitalverkehr:
Der freie Kapitalverkehr ist eine der "vier Grundfreiheiten" und damit einer der Eckpfeiler des Binnenmarkts. Er ermöglicht offenere, stärker integrierte, wettbewerbsfähigere und effizientere Märkte und Dienstleistungen in Europa. Für die Bürger bedeutet dies, dass sie im Ausland eine Reihe von Vorgängen tätigen können, wie ein Bankkonto eröffnen, Anteile an ausländischen Unternehmen erwerben oder eine Immobilie kaufen. Unternehmen gibt der freie Kapitalverkehr die Möglichkeit, in Unternehmen in anderen europäischen Ländern zu investieren oder diese zu besitzen sowie aktiv an deren Führung mitzuwirken.

Weitere Informationen

Freier Kapitalverkehr:
http://ec.europa.eu/internal_market/capital/index_de.htm

Aktuelle Informationen über anhängige Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten:
http://ec.europa.eu/community_law/index_de.htm
(Europäische Kommission: ra)


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