Stuttgart 21: Streit um Baumaßnahmen


Wirtschaftlichkeit "gezielt günstig gerechnet"? - Bahnprojekt Stuttgart 21 auch unter Experten nach wie vor umstritten
"Politisch falsch", ein rechtstaatliches Genehmigungsverfahren durch einen Volksentscheid aushebeln zu wollen?


(18.11.10) - Gegner und Befürworter des Bahnprojektes Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm haben vor dem Verkehrsausschuss ihre Argumente ausgetauscht. In der öffentlichen Anhörung verwies das Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn AG (DBAG), Volker Kefer, darauf, dass alle Genehmigungsverfahren für die Projekte eingeleitet und bis auf zwei Verfahren auch bereits durchgeführt seien.

"Zu den wesentlichen Bauabschnitten liegen rechtskräftige Genehmigungen vor", betonte Kefer und sprach sich für Weiterführung der Baumaßnahmen aus.

Dem entgegnete Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, es existierten derzeit keine Wirtschaftlichkeitsberechnungen für Stuttgart 21. Für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm gebe es eine solche Berechnung, die aber nicht veröffentlicht worden sei. Zudem gebe es eine Reihe von Indizien, die darauf hindeuten würden, dass die Wirtschaftlichkeit "gezielt günstig gerechnet wurde".

Grundlage der Anhörungen waren Anträge der Oppositionsfraktionen von SPD (17/2933), Linken (17/2914) und Bündnis 90/Die Grünen (17/2893), die einen Baustopp fordern.

Dies lehnte Bahn-Vorstand Kefer ab. "Fünfzehn Jahre Planung dürfen nicht umsonst gewesen sein", sagte er und verwies dabei auch auf die städtebaulichen und verkehrstechnischen Vorteile, die durch die Projekte erreicht würden. So würden durch den unterirdischen Bahnhof "100 Hektar städtebaulich wertvolle Fläche frei". Zudem sei der entstehende Durchgangsbahnhof "zukunftsfähiger als der bisherige Kopfbahnhof".

Udo Andriof, Sprecher des Bahnprojektes Stuttgart 21 nannte es "politisch falsch", ein rechtstaatliches Genehmigungsverfahren durch einen Volksentscheid aushebeln zu wollen. Das Projekt habe über Jahrzehnte hinweg auf Bundes- wie auch auf Landes- und Kommunalebene eine parlamentarische Mehrheit gefunden. Seiner Ansicht nach seien die Bürger im Planungsprozess durchaus beteiligt worden. Derartige Großprojekte, so Andriof, brauchten öffentliche Unterstützung ebenso wie Akzeptanz. Ihre Durchsetzung dürfe aber nicht von der Stärke des Protestes abhängen.

Von positiven wirtschaftlichen Effekten, die langfristig zu erwarten seien, sprach Professor Werner Rothengater vom Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung. "Die Projekte passen zum Strukturwandel in Baden-Württemberg", sagte er. Zudem gebe es positive Umwelteffekte, wie die Reduzierung des Lärms, die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene oder auch die Reduzierung der versiegelten Flächen im Stuttgarter Innenstadtbereich um etwa 50 Hektar.

Realistische Alternativen zu Stuttgart 21 seien "weder bekannt noch offen gelegt", sagte Ullrich Martin, Direktor des Institutes für Eisenbahn und Verkehrswesen. Vielmehr sei im Zusammenhang mit einer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Tiefbahnhof im Jahre 2005 dem Vorwurf der fehlenden Flexibilität "fachlich entgegnet worden".

Der Stuttgarter Kopfbahnhof sei keineswegs veraltet und müsse daher durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof ersetzt werden, sagte der Verkehrsberater Karl-Heinz Rössler. Der Kopfbahnhof sei in seiner Leistungsfähigkeit durchaus optimierbar, da der Lokwechsel heute kein Problem mehr sei. Es gebe kaum eine deutsche Stadt, die einen Fernbahn- und Regionalbahnhof mit nur acht Durchgangsgleisen habe, sagte Rössler. Lediglich in Hamburg und Köln sei dies der Fall, was auch immer wieder zu Engpässen führe. "Ein solcher Engpass soll nun in Stuttgart mit Milliardenaufwand erst gebaut werden", kritisiert er.

Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Böttger vertrat die Ansicht, dass zwar das Planungsrecht für die Projekte "unstrittig" vorhanden sei. "Das Haushaltsrecht gebietet es aber schon, dass man Projekte regelmäßig überprüft und auch abbricht, wenn die Ziele nicht erreicht werden." Dies zu tun verstoße nicht gegen "demokratische Spielregeln", sagte Böttger.

Der Stuttgarter Stadtrat Hannes Rockenbauch sieht im Umgang mit Stuttgart 21 den "Prototyp einer Entscheidungskultur, die die Menschen ausgrenzt". Immer wieder sei die Wahrheit – etwa über die Kostenentwicklung - nur "scheibchenweise" herausgekommen. Rockenbauch sprach von einem "Projekt aus dem letzten Jahrtausend". Heute wollten die Menschen keine Investition mehr in Beton, sagte er und erneuerte seine Forderung: “Stoppen Sie Stuttgart 21." (Deutscher Bundestag: ra)


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Bitcom lobt und kritisiert Kryptopolitik

    Der Branchenverband Bitcom warnt davor, dass Deutschland seine gute Ausgangsposition im Bereich der Kryptowirtschaft nicht aufs Spiel setzen solle. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses zum Finanzmarktdigitalisierungsgesetz (20/10280) sagte Bitcom-Vertreter Benedikt Faupel: "Der Standort Deutschland hat gute Voraussetzungen, ich erinnere an die Blockchain-Strategie."

  • Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte

    Der Kulturausschuss hat sich in einem öffentlichen Fachgespräch mit den Chancen und Risiken des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz im Medienbereich auseinandergesetzt. Geladen hatte er Sachverständige von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Unternehmen und aus der Wissenschaft.

  • Modernisierung des Postrechts

    In einer Anhörung beschäftigten sich neun Sachverständige mit dem Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Modernisierung des Postrechts (20/10283). Dieses beinhalte eine "grundlegende Novellierung des Postrechts", schreibt die Bundesregierung zu dem Entwurf.

  • Einnahmen aus dem Energiekrisenbeitrag

    Die im Zuge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine massiv gestiegenen Preise für Erdgas, Wärme und Strom haben zeitweise eine existenzbedrohende Belastung für die Bevölkerung und Unternehmen in Europa und nicht zuletzt in Deutschland dargestellt. Dabei sorgten das Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz (EWPBG) und das Strompreisbremsegesetz (StromPBG) für eine zeitlich befristete, schnelle Entlastung in der Breite der Bevölkerung und der Unternehmen in Deutschland, welche durch ihre konkrete Ausgestaltung die Anreize zum Energiesparen aufrechterhalten hat.

  • Soziale und ökologische Nachhaltigkeit

    Eine nachhaltige Künstliche Intelligenz (KI) braucht politische Rahmenbedingungen. Das machte Kilian Vieth-Ditlmann, stellvertretender Leiter des Policy- & Advocacy-Teams bei der AW AlgorithmWatch gGmbH während eines öffentlichen Fachgespräches im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung deutlich. Als ersten Schritt bewertete er die im EU-Parlament verabschiedete KI-Verordnung.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen