Sozialwahlen mit einem Demokratiedefizit?


Ausschuss für Arbeit und Soziales: Bundeswahlleiter plädiert für mehr Demokratie bei Sozialwahlen
Die Sozialversicherungswahlen gehörten neben den Bundestags- und Europawahlen gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten zu den größten Wahlen in Deutschland


(05.02.10) - "Bitte werden Sie zu Botschaftern der Sozialversicherungswahlen 2011!" Diesen Appell richteten der Bundeswahlbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen, Gerald Weiß, und sein Stellvertreter Klaus Kirschner an die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales. "Wir müssen mobilisieren, aufklären und motivieren", betonte Weiß, da die Wahlbeteiligung schlecht sei. Vor fünf Jahren lag sie gerade einmal bei 30,8 Prozent.

Mit den Sozialversicherungswahlen werden Repräsentanten der Mitglieder der Sozialversicherungen in die Gremien der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger gewählt, also etwa der Rentenversicherung, der gesetzlichen Unfallversicherung und der gesetzlichen Krankenkassen. Die Sozialversicherungswahlen gehörten neben den Bundestags- und Europawahlen gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten zu den größten Wahlen in Deutschland, betonte Weiß. Sozialparlamente und Verwaltungsräte nähmen wichtige Funktionen der Kontrolle und Initiative wahr.

Nach Auskunft von Weiß hat es bei den Sozialversicherungswahlen jedoch inzwischen eine kritische Verschiebung gegeben: Von 10.000 zu vergebenen Plätzen seien nur noch 189 tatsächlich über direkte Wahlen besetzt worden. Alle anderen würden inzwischen durch sogenannte "Friedenswahlen" entschieden, wo sich konkurrierende Listen auf Kandidaten verständigten. "Die Ausnahme ist zur bedenklichen Regel geworden", sagte Weiß.

Die Union äußerte sich besorgt über die Entwicklung, dass den Sozialversicherungen zunehmend Aufgaben abgenommen würden, "durch uns, durch das Parlament", anstatt der Selbstverwaltung mehr Aufgaben zu überlassen.

Die CDU/CSU-Parlamentarier sehen mit Sorge, dass die Friedenswahlen einen derart breiten Raum einnehmen, “aber die weitaus größte Zahl der Versicherten wählt nach wie vor", weil die Stellen in den großen Sozialversicherungen, etwa bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, noch über echte Wahlen besetzt würden.

Die FPD bekräftigte ihre traditionell skeptische Haltung zu den Sozialwahlen und fühlte sich bestätigt durch die von Weiß erwähnte kritische Beurteilung des Bundesrechnungshofs, bei den Sozialwahlen gebe es ein Demokratiedefizit.

Die Linke regte an, Ideen zu suchen, wie die in ihren Augen wichtigen Sozialwahlen den Menschen wieder näher gebracht werden könnten.

Die SPD-Fraktion betonte, es sollte darüber nachgedacht werden, wie "externe Kompetenz in das System der Sozialversicherungen" gelenkt werden könne und zugleich "die Akzeptanz erhöht wird".

Bündnis 90/Die Grünen zeigten sich "erschrocken" darüber, dass von 10.000 Vertretern "nicht einmal 200" durch echte Konkurrenz gewählt würden. Das sei "schon ein grundsätzliches Problem", hieß es aus den Reihen der Grünen. Wenn man bei Wahlen keine echte Wahl habe, stelle sich doch für den einzelnen die Frage, warum er überhaupt teilnehmen solle.

"Im Strom kann man die Pferde nicht wechseln", erwiderte Weiß und regte an, nach der nächsten Sozialwahl nach Lösungen zu suchen, wie die Friedenswahl "wieder zur Ausnahme werden kann". Ganz abschaffen "würde ich sie jedoch nicht", sagte er. Zudem forderte Weiß die Parlamentarier auf, die technischen und datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für Online-Wahlen zu schaffen. Wenn die Schwelle niedriger läge, hofft er, würde auch die Wahlbeteiligung wieder steigen. (Deutscher Bundestag: ra)


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Gleichstellung als verbindliches Förderkriterium

    Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in einem Antrag (21/790) die Bundesregierung auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Gleichstellung von Frauen und Mädchen im organisierten Sport in Deutschland deutlich zu verbessern.

  • Ausbau der digitalen Infrastruktur

    Die von der schwarz-roten Koalition geplante Novelle des Telekommunikationsgesetzes ist bei einer Mehrheit der Sachverständigen auf Zustimmung zu den Zielen und Kritik an Details gestoßen. In einer öffentlichen Anhörung des Digitalausschusses zum TKG-Änderungsgesetz 2025 bezeichnete eine Reihe von Sachverständigen den Entwurf als ein wichtiges Signal für die Branche.

  • Auskunft zum Cum/Ex und Cum/Cum

    Zum Stichtag 31. Dezember 2023 befanden sich 380 Verdachtsfälle zur Steuergestaltung bei Cum-Ex-Geschäften bei den Obersten Finanzbehörden der Länder und beim Bundeszentralamt für Steuern mit einem Volumen nicht anrechenbarer/erstatteter Kapitalertragssteuer inklusive Solidaritätszuschlag von rund 3,8 Milliarden Euro in Bearbeitung. Diese Angaben macht die Bundesregierung in ihrer Antwort (21/548) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion die Linke (21/310).

  • Kosten der Vermeidung von CO2-Emissionen

    Keine konkreten Angaben zu den Kosten, die ihre Pläne zur Vermeidung von CO2-Emissionen verursachen, macht die Bundesregierung in ihrer Antwort (21/715) auf eine Kleine Anfrage (21/296) der AfD-Fraktion. Zur Begründung verweist sie darauf, dass Deutschland zur Erreichung der Klimaschutzziele auf ein "breites Spektrum aufeinander abgestimmter Klimaschutzmaßnahmen" setze. Diese dienten neben der Minderung von Treibhausgasen auch der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, dem sozialen Ausgleich sowie der langfristigen Transformation hin zur Klimaneutralität. Die Ausgestaltung der Klimaschutzmaßnahmen gehe dabei über eine "kurzfristige, rein statische Betrachtung der CO2-Vermeidungskosten" hinaus.

  • Steuerung des Windenergieausbaus

    An der von den Koalitionsfraktionen geplanten Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU (RED III) besteht Nachbesserungsbedarf. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses zu dem Gesetzentwurf "zur Umsetzung von Vorgaben der Richtlinie (EU) 2023/2413 für Zulassungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und dem Wasserhaushaltsgesetz, zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes, zur Änderung des Windenergieflächenbedarfsgesetzes und zur Änderung des Baugesetzbuchs" (21/568) deutlich.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen