Sie sind hier: Home » Markt » Hintergrund

Wird KI den Anwalt ersetzen?


Das aktuelle Forschungsprojekt "Legal Analytics" des Bayerischen Staatsministeriums beschäftigt sich mit der Möglichkeit einer anonymisierten Datenbank von Gerichtsentscheidungen
Verbraucher können können mittels sogenannter Access-to-Justice-Anwendungen ohne direkten Kontakt zu einem Anwalt einbehaltene Kosten von Fluggesellschaften zurückfordern




Von Jens Reumschüssel, Director of Sales DACH – Public Sector, Exterro

Die Vorstellung, dass Algorithmen in unseren Rechtssystemen Entscheidungen treffen, die unser Leben direkt berühren, scheint einem Science-Fiction-Film entsprungen zu sein. Doch die Automatisierung im Sinne von Künstlicher Intelligenz ist sowohl in der Justiz wie auch ganz grundsätzlich im Umfeld von Corporate Governance, Risikomanagement und Compliance, kurz GRC, keine Zukunftsmusik mehr: Legal Tech existiert und wird auch in Deutschland von Gerichten, Anwälten und internen Rechtsabteilungen genutzt. Heißt das nun, dass ein virtueller Anwalt uns künftig vor Gericht vertritt? Oder ein Roboter auf Verbrecherjagd geht?

Nun, darüber mögen sich manche Experten streiten. Fakt ist, KI hat seine Stärken. So ist das menschliche Gehirn zwar extrem gut im Erkennen von Mustern. Wenn wir aber mit sogenannten Massendaten, also "Big Data", konfrontiert werden, stoßen wir an Grenzen. Ein menschlicher Ermittler müsste sich tage-, wochen- oder monatelang durch die zahlreichen Quellen mit potenziellem Beweismaterial wühlen – selbst wenn es keine Garantie gibt, entscheidende Informationen zu entdecken. KI dagegen durchsucht Terabytes, ja sogar Petabytes an Informationen und Daten in nur wenigen Minuten, filtert False-Positive-Meldungen heraus und liefert einen nahezu perfekten Einblick in Trends und Korrelationen zwischen Datensätzen. Gleichzeitig weisen etwa in der digitalen Forensik viele Prozesse dieselben Phasen der Beweismittelverarbeitung und -überprüfung auf, so dass es relativ einfach ist, sie zu replizieren. Das reicht in der einfachsten KI-Ausprägung von der Übersetzung fremdsprachiger Dokumente bis hin zu der Klassifizierung, dem Erkennen und Einordnen ähnlicher Objekte.

Was heißt das nun in der Realität?
Verbraucher beispielsweise können mittels sogenannter Access-to-Justice-Anwendungen ohne direkten Kontakt zu einem Anwalt einbehaltene Kosten von Fluggesellschaften zurückfordern oder sich von Apps beim Verfassen von rechtlichen Schreiben unterstützen lassen. Die zugrunde liegende Machine-Learning-Software gleicht die eigenen Worte mit einer rechtlich korrekten Formulierung ab.

Das aktuelle Forschungsprojekt "Legal Analytics" des Bayerischen Staatsministeriums wiederum beschäftigt sich mit der Möglichkeit einer anonymisierten Datenbank von Gerichtsentscheidungen, die Analysen für die Entscheidungen zukünftiger Rechtsfälle erlauben könnte. Auch in der Strafverfolgung nimmt Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle ein: KI durchforstet große Datenmengen nach Straftaten wie Kinderpornographie oder Hasskriminalität im Internet. Im Legal-GRC-Umfeld etwa bei der Einhaltung der DSGVO helfen automatisierte Workflows in Kombination mit Robotics- und KI-basierten Löschkonzepten weiter – ob nun ein Dokument erstellt, das Ende einer Frist bestimmt oder das Bestehen eines Anspruchs geklärt werden soll.

Grundlegend gilt, bevor ein Verfahren welcher Art auch immer beginnen kann, müssen zunächst viele administrative Aufgaben erfüllt und große Datenmengen bearbeitet werden. Diese Vorgänge nehmen viel Zeit in Anspruch und sind mitverantwortlich für den Prozessstau in einigen Bereichen. Der Einsatz von KI entlastet die Mitarbeiter deutlich und führt zu einer "Entschlackung" der Verfahrensabläufe.

Ob es jedoch jemals virtuelle Ermittler oder gar Roboter-Richter geben wird, wage ich zu bezweifeln. Künstliche Intelligenz verfügt (zumindest heute) nicht über die emotionale Intelligenz, die erforderlich ist, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Gerade rechtliche Entscheidungen beziehen sich immer auf ein konkretes Individuum und einen konkreten Einzelfall. Ein Urteil über individuelle Besonderheiten zu fällen, die Fähigkeit zur Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe oder zum Verständnis von Emotionen – dazu ist KI nicht in der Lage. Legal Tech ist aber eine nützliche und durchaus ausbaufähige Technologie, die Abläufe in den Rechtssystemen beschleunigen und die Arbeit erleichtern kann. (Exterro: ra)

eingetragen: 27.07.22
Newsletterlauf: 16.09.22

Exterro: Kontakt und Steckbrief

Der Informationsanbieter hat seinen Kontakt leider noch nicht freigeschaltet.


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Markt / Hintergrund

  • Cyber-Sicherheit: Rückgrat des Bankwesens

    Am 4. Dezember 2024 beging die Welt den Internationalen Tag der Banken. In diesem Rahmen sollte man über die Rolle der Digitalisierung und IT-Sicherheit als Garant für Vertrauen im modernen Bankwesen nachdenken. Transaktionen werden immer häufiger digital getätigt, daher muss die Sicherheit dieses digitalen Zahlungsverkehrs garantiert sein, um Malware, Datenlecks, Phishing und Betrug zu vermeiden.

  • Wachstum im Finanzsektor

    Der Wettbewerbsdruck auf Finanzinstitute wächst. Vor allem deutsche Banken stagnieren bei der Expansion und riskieren, Anlegergruppen an ausländische Konkurrenten zu verlieren. Eine Hürde ist hier die Berücksichtigung nationaler und internationaler Gesetzgebung. Besonders die Steuerabwicklung fordert Finanzunternehmen heraus, da der rechtliche Rahmen von Land zu Land stark variiert.

  • Insider-Risiken bleiben relevant

    Die unermüdliche Weiterentwicklung Künstlicher Intelligenz beschleunigt die Evolution bestehender Betrugsszenarien. In unserem Tagesgeschäft - der Betrugsprävention - beobachten wir besonders im E-Commerce neue Herausforderungen, die differenziert betrachtet werden müssen.

  • Leben ohne Digitalzwang

    Menschen, die auf bestimmte Dienstleistungen im Alltag angewiesen sind, haben einen Anspruch darauf, diese auch analog nutzen zu können. Dies ist das Kernergebnis des Rechtsgutachtens, das am 11.12.2024 auf Initiative des Vereins Digitalcourage vom Netzwerk Datenschutzexpertise vorgelegt wurde.

  • DORA am 17. Januar 2025 in Kraft

    Mit Blick auf das Jahr 2025 sticht ein Element bei der Einführung und Weiterentwicklung generativer künstlicher Intelligenz (KI) hervor: die Datensicherheit. Da generative KI-Modelle riesige Datenmengen benötigen, um zu lernen und Inhalte zu generieren, wird die Gewährleistung des Datenschutzes, der Vertraulichkeit und der Integrität dieser Daten von größter Bedeutung sein.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen