Sie sind hier: Home » Recht » Deutschland » Weitere Urteile

Non-Compliance mit dem Baurecht


Kommunale Eigengesellschaft ist kein "Dritter" im Erschließungsrecht
Ihre Einschaltung würde praktisch und wirtschaftlich darauf hinauslaufen, dass die Gemeinden "im Mantel eines Privaten" vertraglich die Erschließungskosten auf die Eigentümer bzw. Käufer abwälzen könnten, ohne den Begrenzungen des Beitragsrechts zu unterliegen

(20.12.10) - Kommunen sind in Geldnot und Not macht erfinderisch. So haben in der Vergangenheit viele Gemeinden versucht, die Erschließungskosten für Neubaugebiete zu 100 Prozent auf die Käufer der Grundstücksparzellen abzuwälzen. Da das Baugesetz jedoch dies nicht gestattet und die Gemeinden verpflichtet, einen Anteil der Kosten selbst zu tragen, wurde über eigens gegründete Erschließungsgesellschaften diese gesetzliche Regelung umgangen.

Möglich würde dies durch die fintenreiche Interpretation des § 124 Abs. 1 BauGB. Danach kann ein Bauträger im Rahmen eines Erschließungsvertrags sich verpflichten, die gesamten Erschließungskosten zu übernehmen (und natürlich diese dementsprechend auf die Käufer übertragen). Auf Basis dieser Regelung wurden von vielen Gemeinden entsprechende Erschließungsgesellschaften als "Dritte" im Sinne von § 124 Abs. 1 BauGB gegründet.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat nun entschieden, dass diese Praxis rechtswidrig ist. (BVerwG 9 C 8.09).

Wir zitieren im Folgenden die Pressemitteilung des BVerwG:

Eine sog. kommunale Eigengesellschaft, d.h. eine Gesellschaft des Privatrechts, die von der Gemeinde (ganz oder mehrheitlich) beherrscht wird, ist nicht "Dritter" im Sinne von § 124 Abs. 1 BauGB ist.

Die Beklagte des Streitfalls ist eine Erschließungsgesellschaft in Gestalt einer GmbH, deren einzige Gesellschafterin die beigeladene Gemeinde ist. In einem Erschließungsvertrag mit dieser Gesellschaft hatte die Gemeinde ihr die Erschließung eines Neubaugebiets übertragen und die Umlegung der Erschließungskosten auf die Eigentümer der unbebauten Grundstücke vereinbart. Die Kläger erwarben ein solches Grundstück von der Gemeinde, verpflichteten sich im Kaufvertrag, in den Erschließungsvertrag einzutreten, und leisteten an die Erschließungsgesellschaft Abschlagszahlungen auf die Erschließungskosten. Mit der Klage forderten sie diese Abschlagszahlungen teilweise zurück, weil sie ohne wirksamen Rechtsgrund erfolgt seien. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Der Erschließungsvertrag sei nichtig. Dafür waren im Wesentlichen folgende Erwägungen maßgeblich:

Die Erschließung der Grundstücke im Gemeindegebiet ist grundsätzlich Aufgabe der Gemeinde (§ 123 Abs. 1 BauGB). Zur Deckung der ihr dadurch entstandenen Kosten erhebt die Gemeinde Erschließungsbeiträge gemäß den §§ 127 ff. BauGB. Die Kosten dürfen nur für bestimmte Anlagen von den Grundstückseigentümern gefordert werden; zudem muss die Gemeinde 10 Prozent des beitragsfähigen Aufwandes selbst tragen.

Sie kann die Erschließung aber auch durch Vertrag auf einen Dritten übertragen (§ 124 Abs. 1 BauGB). Dieser sog. Erschließungsträger wälzt im Rahmen eines privatrechtlichen Rechtsgeschäfts die ihm entstandenen Kosten unter Einkalkulierung eines Gewinns auf die Eigentümer bzw. Käufer der im Erschließungsgebiet gelegenen Grundstücke ab. Dabei ist der Erschließungsträger von den genannten Einschränkungen des Beitragsrechts befreit.

Diese Rechtslage beruht auf einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 1993. Ziel des Gesetzes war es, die Ausweisung und Schaffung von Bauland zu erleichtern. Deshalb wollte der Gesetzgeber vertragliche Regelungen zwischen Gemeinden und Investoren im Städtebaurecht stärken, zugleich aber die rechtlichen Grenzen solcher Verträge festlegen. Der Gesetzgeber hatte dabei einen privaten Erschließungsunternehmer als Investor vor Augen, der seine Entscheidungen unabhängig von der Gemeinde trifft.

Denn der Verzicht auf den Schutz des beitragsrechtlichen Vorteilsprinzips ist allein dadurch zu rechtfertigen, dass die Bereitschaft eines Investors zur vertraglichen Übernahme der Erschließung regelmäßig nur dann bestehen wird, wenn die Nachfrage nach Baugrundstücken in der Gemeinde so hoch ist, dass die Erschließung eine über den beitragsrechtlichen Erschließungsvorteil hinausgehende allgemeine Wertsteigerung der Grundstücke im Erschließungsgebiet erwarten lässt.

Die vorliegende Konstellation einer gemeindlichen Eigengesellschaft ist damit nicht vergleichbar; diese ist kein "Dritter" im Sinne von § 124 Abs. 1 BauGB. Ihre Einschaltung würde praktisch und wirtschaftlich darauf hinauslaufen, dass die Gemeinden "im Mantel eines Privaten" vertraglich die Erschließungskosten auf die Eigentümer bzw. Käufer abwälzen könnten, ohne den Begrenzungen des Beitragsrechts zu unterliegen.

Unabhängig von dem Vorstehenden hat das Bundesverwaltungsgericht auch die konkrete Vertragsgestaltung im Streitfall beanstandet. Es hat den Erschließungsvertrag auch deshalb für nichtig erachtet, weil die Gemeinde sich darin umfangreiche Befugnisse vorbehalten hatte, die praktisch auf ein unbeschränktes Recht zur Selbstvornahme hinausliefen, so dass tatsächlich keine "Übertragung" im Sinne von § 124 Abs. 1 BauGB vorlag.

BVerwG 9 C 8.09 - Urteil vom 1. Dezember 2010
Vorinstanzen:
VGH Mannheim, VGH 2 S 424/08 - Urteil vom 23. Oktober 2009 -
VG Stuttgart, VG 2 K 2707/07 - Urteil vom 8. November 2007 -
(Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts: ra)


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Weitere Urteile

  • Gewinnermittlung nach der Tonnage

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 19.10.2023 - IV R 13/22 dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob § 52 Abs. 10 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) verstößt, soweit diese Vorschrift die rückwirkende Anwendung des § 5a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG für Wirtschaftsjahre anordnet, die nach dem 31.12.1998 beginnen.

  • Wettbewerbsverstöße von Drittanbietern

    In dem Grundsatzverfahren der Wettbewerbszentrale zur Frage der Reichweite der Haftung von Marktplatzbetreibern für Wettbewerbsverstöße von Drittanbietern hat jüngst das OLG Frankfurt am Main geurteilt (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.12.2023, Az. 6 U 154/22 - nicht rechtskräftig). Es hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und die Berufung gegen das Urteil des LG Frankfurt am Main (LG Frankfurt am Main, Urteil vom 02.09.2022, Az. 3-12 O 42/21) zurückgewiesen.

  • Rahmenbedingungen der Steuerberaterprüfung

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 11.07.2023 - VII R 10/20 weitere Klarheit in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen der Steuerberaterprüfung geschaffen. Die Entscheidung bestätigt die Rechtmäßigkeit der Möglichkeit, die schriftlichen Prüfungsarbeiten ohne Verwendung eines anonymisierten Kennzahlensystems anfertigen zu lassen.

  • Aufwendungen für Ferienimmobilienanbieter

    Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 17.08.2023 - III R 59/20 entschieden hat, können Aufwendungen, die ein Ferienimmobilienanbieter tätigt, damit ihm die Eigentümer von Ferienimmobilien diese zur Vermietung an Reisende überlassen, als Mieten zu qualifizieren sein und zu einer gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnung zum Gewinn führen. Die Klägerin, eine Verwaltungs - und Beteiligungs-Gesellschaft mbH, war im Streitjahr 2010 zu 100 Prozent an einer Firma (X) beteiligt, die Reisenden Ferienimmobilien über Kataloge, eine Internet-Plattform und über Vermittler, wie zum Beispiel Reisebüros anbot. Zudem war die Klägerin Organträgerin der X, weshalb ihr das Ergebnis der Organgesellschaft steuerlich zugerechnet wurde.

  • Bestehen einer steuerlichen Organschaft

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 11.07.2023 - I R 21/20 für den Fall der Verschmelzung einer Kapital- auf eine Personengesellschaft entschieden, dass der übernehmende Rechtsträger als ("neuer") Organträger auch dann in die bereits beim übertragenden Rechtsträger (als "alter" Organträger) erfüllte Voraussetzung einer finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft eintritt, wenn die Umwandlung steuerlich nicht bis zum Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen wird.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen