Sie sind hier: Home » Recht » Deutschland » Weitere Urteile

Geübte Besteuerungspraxis im Zwielicht


Umsatzsteuer: EuGH-Vorlagen zur Sollbesteuerung und zur Margenbesteuerung
Vorfinanzierung geschuldeter Steuer: Der BFH bezweifelt jetzt, ob dies mit den bindenden Vorgaben des Unionsrechts, der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, vereinbar ist



Der Bundesfinanzhof (BFH) zweifelt an der bislang uneingeschränkt angenommenen Pflicht zur Vorfinanzierung der Umsatzsteuer durch den zur Sollbesteuerung verpflichteten Unternehmer und am Ausschluss des ermäßigten Steuersatzes bei der Überlassung von Ferienwohnungen im Rahmen der sog. Margenbesteuerung. Er hat daher in zwei Revisionsverfahren durch Beschlüsse vom 21. Juni 2017 V R 51/16 und vom 3. August 2017 V R 60/16 Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet.

Im ersten Verfahren (V R 51/16) geht es um eine Klägerin, die im bezahlten Fußball als Spielervermittlerin tätig war. Sie unterlag der sog. Sollbesteuerung, bei der der Unternehmer die Umsatzsteuer bereits mit der Leistungserbringung unabhängig von der Entgeltvereinnahmung zu versteuern hat. Bei der Vermittlung von Profifußballspielern erhielt sie Provisionszahlungen von den aufnehmenden Fußballvereinen. Der Vergütungsanspruch für die Vermittlung setzte dem Grunde nach voraus, dass der Spieler beim neuen Verein einen Arbeitsvertrag unterschrieb und die DFL-GmbH als Lizenzgeber dem Spieler eine Spielerlaubnis erteilte.

Die Provisionszahlungen waren in Raten verteilt auf die Laufzeit des Arbeitsvertrages zu leisten, wobei die Fälligkeit und das Bestehen der einzelnen Ratenansprüche unter der Bedingung des Fortbestehens des Arbeitsvertrages zwischen Verein und Spieler standen. Das Finanzamt (FA) ging davon aus, dass die Klägerin ihre im Streitjahr 2012 erbrachten Vermittlungsleistungen auch insoweit bereits in 2012 zu versteuern habe, als sie Entgeltbestandteile für die Vermittlungen vertragsgemäß erst im Jahr 2015 beanspruchen konnte.

Die Sichtweise des FA entspricht einer jahrzehntelang geübten Besteuerungspraxis. Der BFH bezweifelt jetzt aber, ob dies mit den bindenden Vorgaben des Unionsrechts, der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, vereinbar ist. Auf seine Vorlage soll der EuGH insbesondere entscheiden, ob der Steuerpflichtige verpflichtet ist, die für die Leistung geschuldete Steuer für einen Zeitraum von zwei Jahren vorzufinanzieren, wenn er die Vergütung für seine Leistung (teilweise) erst zwei Jahre nach Entstehung des Steuertatbestands erhalten kann.

Die dem EuGH in dieser Rechtssache vorlegten Fragen sind von erheblicher Praxisbedeutung. Sie beziehen sich in erster Linie auf bedingte Vergütungsansprüche, können aber auch bei befristeten Zahlungsansprüchen wie etwa beim Ratenverkauf im Einzelhandel oder bei einzelnen Formen des Leasing von Bedeutung sein. Auch hier besteht nach gegenwärtiger Praxis für den der Sollbesteuerung unterliegenden Unternehmer die Pflicht, die Umsatzsteuer für die Warenlieferung bereits mit der Übergabe der Ware vollständig abführen zu müssen. Dies gilt nach bisheriger Praxis auch dann, wenn er einzelne Ratenzahlungen erst über eine Laufzeit von mehreren Jahren vereinnahmen kann.

Im zweiten Verfahren (V R 60/16) soll der EuGH entscheiden, ob er an seiner Rechtsprechung festhält, nach der die Überlassung von Ferienwohnungen durch im eigenen Namen --und nicht als Vermittler-- handelnde Reisebüros der sog. Margenbesteuerung unterliegt und ob bejahendenfalls die Berechtigung besteht, die Marge dann mit dem ermäßigten Steuersatz für die Beherbergung in Ferienunterkünften zu versteuern. (Pressemitteilung des Bundesfinanzhofs vom 20. September 2017: ra)

eingetragen: 24.08.17
Home & Newsletterlauf: 29.09.17


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>



Meldungen: Weitere Urteile

  • Gewinnermittlung nach der Tonnage

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 19.10.2023 - IV R 13/22 dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob § 52 Abs. 10 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) verstößt, soweit diese Vorschrift die rückwirkende Anwendung des § 5a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG für Wirtschaftsjahre anordnet, die nach dem 31.12.1998 beginnen.

  • Wettbewerbsverstöße von Drittanbietern

    In dem Grundsatzverfahren der Wettbewerbszentrale zur Frage der Reichweite der Haftung von Marktplatzbetreibern für Wettbewerbsverstöße von Drittanbietern hat jüngst das OLG Frankfurt am Main geurteilt (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.12.2023, Az. 6 U 154/22 - nicht rechtskräftig). Es hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und die Berufung gegen das Urteil des LG Frankfurt am Main (LG Frankfurt am Main, Urteil vom 02.09.2022, Az. 3-12 O 42/21) zurückgewiesen.

  • Rahmenbedingungen der Steuerberaterprüfung

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 11.07.2023 - VII R 10/20 weitere Klarheit in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen der Steuerberaterprüfung geschaffen. Die Entscheidung bestätigt die Rechtmäßigkeit der Möglichkeit, die schriftlichen Prüfungsarbeiten ohne Verwendung eines anonymisierten Kennzahlensystems anfertigen zu lassen.

  • Aufwendungen für Ferienimmobilienanbieter

    Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 17.08.2023 - III R 59/20 entschieden hat, können Aufwendungen, die ein Ferienimmobilienanbieter tätigt, damit ihm die Eigentümer von Ferienimmobilien diese zur Vermietung an Reisende überlassen, als Mieten zu qualifizieren sein und zu einer gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnung zum Gewinn führen. Die Klägerin, eine Verwaltungs - und Beteiligungs-Gesellschaft mbH, war im Streitjahr 2010 zu 100 Prozent an einer Firma (X) beteiligt, die Reisenden Ferienimmobilien über Kataloge, eine Internet-Plattform und über Vermittler, wie zum Beispiel Reisebüros anbot. Zudem war die Klägerin Organträgerin der X, weshalb ihr das Ergebnis der Organgesellschaft steuerlich zugerechnet wurde.

  • Bestehen einer steuerlichen Organschaft

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 11.07.2023 - I R 21/20 für den Fall der Verschmelzung einer Kapital- auf eine Personengesellschaft entschieden, dass der übernehmende Rechtsträger als ("neuer") Organträger auch dann in die bereits beim übertragenden Rechtsträger (als "alter" Organträger) erfüllte Voraussetzung einer finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft eintritt, wenn die Umwandlung steuerlich nicht bis zum Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen wird.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen