Wirecard agierte in Bayern weitgehend unbehelligt


Wirecard: "Finanzorientierte Dax-Konzerne hatten wir nicht in Bearbeitung", sagte Martin Mulzer, der in der Bezirksregierung Niederbayern für Geldwäscheprävention verantwortlich ist
Tatsächlich passten die Strukturen in Bayern und die Größenordnung des Unternehmens nicht zusammen, wie im Ausschuss klar wurde



In seiner Sitzung am 28. Januar 2021 unter Leitung des Abgeordneten Kay Gottschalk (AfD) beschäftigte sich der 3. Untersuchungsausschuss (Wirecard) vor allem mit der Rolle der bayerischen Behörden. Auch bei dieser Sitzung setzte sich ein Muster fort, das dem Ausschuss bereits bekannt ist: Die institutionelle Verantwortung für ein Unternehmen wie Wirecard lässt sich kaum eindeutig zuordnen. Geladen waren unter anderem der bayerische Staatsminister des Innern, der Leiter der Geldwäscheprävention beim Bezirk Niederbayern und ein ehemaliger Landespolizeichef.

Joachim Herrmann (CSU), bayerischer Staatsminister des Innern, sieht nach den Ereignissen um Wirecard erheblichen Reformbedarf. "Bei dieser Angelegenheit sind Lücken zutage getreten", sagte Herrmann. Es wäre sinnvoll, dass ein Unternehmen wie die Wirecard AG einer umfangreichen Aufsicht unterliegt. Bisher sei die Zuständigkeit zersplittert oder gar nicht vorhanden.

Die Regierung von Niederbayern, die zwischenzeitlich als zuständige Geldwäschestelle im Gespräch war, sei tatsächlich nicht zuständig gewesen: Wirecard sei nicht unter die entsprechenden Definitionen gefallen, führte Herrmann aus. Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) sei nicht zuständig gewesen.

Ein ebenfalls geladener Beamter aus der Praxis bestätigte die Darstellung des Staatsministers. "Finanzorientierte Dax-Konzerne hatten wir nicht in Bearbeitung", sagte Martin Mulzer, der in der Bezirksregierung Niederbayern für Geldwäscheprävention verantwortlich ist. Als Probleme bei Wirecard erkennbar wurden, habe er bei der Bafin in Frankfurt um Koordination gebeten jedoch mehrere Monate lang keine Antwort erhalten.

Tatsächlich passten die Strukturen in Bayern und die Größenordnung des Unternehmens nicht zusammen, wie im Ausschuss klar wurde. Die Beamten der Geldwäscheprävention in der Bezirksregierung haben sich für gewöhnlich mit Geschäftsleuten deutlich kleineren Kalibers beschäftigt. Typischerweise sprechen sie Gebrauchtwarenhändler, Juweliere oder andere Kaufleute an, die mit Bargeld hantieren. Die Behörde biete den Geschäftsleuten Formulare und Beratung bei der Benennung eines Geldwäschebeauftragten an, sagte Mulzer. Es sei rein um die erste Stufe Prävention gegangen, mit konkreten Ermittlungen gegen Kriminelle habe seine Behörde nichts zu tun.

Mulzer ist seiner Aussage zufolge ursprünglich auch gar nicht auf die Idee gekommen, für den Dax-Konzern Wirecard zuständig zu sein, schließlich handelte es sich um ein Dickschiff der Finanzbranche mit Tochtergesellschaften rund um den Globus. Es gab daher auch bis Februar 2020, also fast bis zur Pleite, keinen Kontakt seiner Behörde zu Wirecard.Nur: Die Bafin in Frankfurt fühlte sich ebenfalls nicht zuständig - die Wirecard AG in Aschheim war aus ihrer Sicht eine örtliche Technikfirma. "Wenn Sie nicht zuständig waren, war also gar niemand zuständig?", fragte der Abgeordnete Florian Toncar von der FDP. "Das kann man so sagen", antwortete Mulzer. "Hier gab es eine Lücke", bestätigte Minister Herrmann.

Zwischenzeitlich hatte sich Mulzer allerdings doch ein wenig zuständig erklärt. Als die Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) im Februar nach der für Wirecard zuständigen Geldwäscheaufsicht suchte, wandte sie sich an den Bezirk Niederbayern. Mulzer leitete die Frage an die Bafin weiter, weil Wirecard "finanzlastig" war und in seiner Behörde eben nur wenig Erfahrung damit vorhanden war.

Kurz darauf rief Bayern wegen Corona den Katastrophenfall aus und zog alle Kräfte zusammen, um beispielsweise medizinische Schutzausrüstung zu organisieren. "Wenn in Bayern eine Katstrophe passiert, findet auch keine Geldwäscheaufsicht statt?", fragte der Vorsitzende Gottschalk (AfD). Minister Herrmann verwies auf die Ausnahmesituation durch Corona. Fakt ist jedoch: Auch Mulzer und sein Team stellten ihre Arbeit weitgehend ein. Da von der Bafin keine Antwort kam, schrieb eine Mitarbeiterin zwischenzeitlich an EY, eine Zuständigkeit für Wirecard sei durchaus möglich, wenn der Geschäftszweck von Wirecard darin bestehe, mit Beteiligungen an anderen Unternehmen zu handeln. Einen Tag vor der endgültigen Insolvenz am 25. Juni 2020 entschied die Behörde jedoch endgültig, nicht zuständig zu sein. Danach war Wirecard ohnehin ein Fall für die Staatsanwaltschaft, nicht mehr für die Prävention.

Ebenfalls geladen war der ehemalige bayerische Landespolizeipräsident Waldemar Kindler, der fünf Jahre lang bei Wirecard unter Vertrag stand. Kindler hatte seit 2014 für den Vorstand des Unternehmens Kontakte zu hochrangigen Personen hergestellt. So hat er am Zugang zu Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) oder dem chinesischen Generalkonsulat mitgewirkt. Dafür ließ er sich 3.000 Euro im Monat bezahlen. "Das hat ihrem Ansehen wohl keinen Gefallen getan", kommentierte der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer.

Kindler gab zu, Hilfestellung beim Antrag auf einen Waffenschein für den Personenschützer des umtriebigen Wirecard-Chefs Markus Braun geleistet zu haben. Er habe beispielsweise Tipps dazu gegeben, die nötigen Unterlagen zusammenzustellen, sagte Kindler aber er habe keinen Einfluss auf Behörden genommen. Er hatte allerdings in zeitlichem Zusammenhang Kontakte zu den Polizeibehörden gegeben, wie aus Unterlagen des Ausschusses hervorgeht.

Kindler ist ein hoch angesehener Beamter. Er war von 2007 bis 2013 Landespolizeipräsident und damit oberster Vorgesetzter aller Polizisten in Bayern. Nach seiner Pensionierung nutzte er seine Kontakte für Beraterverträge, von denen er nach seiner Aussage oft drei bis vier gleichzeitig laufen hatte. Er stufte diese Tätigkeiten allesamt als nicht anzeigepflichtig ein, weil sie nichts mit seiner früheren Tätigkeit als Polizeichef zu tun hatten. In die Affäre Wirecard sei er ohne Schuld hineingeschlittert.

Das Engagement für einen betrügerischen Konzern durch einen so gut vernetzten Beamten, zumal den obersten Verbrechensbekämpfer in Bayern, löste im Ausschuss Unbehagen aus. "Sie können nicht bestreiten, dass das unter heutigen Vorzeichen Bedenken hervorruft", sagte Hans Michelbach (CSU). Die Botschaft, die von seinem Verhalten ausgehe, sei auch in ihrer Wirkung auf junge Polizeibeamte problematisch. (Deutscher Bundestag: ra)

eingetragen: 01.02.21
Newsletterlauf: 19.03.21


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>



Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Risikostrukturausgleich der Krankenkassen

    Verschiedene gesetzliche Initiativen der vergangenen Jahre zielen nach Angaben der Bundesregierung darauf ab, unzulässige Einflussnahmen auf die Datengrundlagen des Risikostrukturausgleichs (RSA) der Krankenkassen zu verhindern und die Manipulationsresistenz des RSA zu stärken. Zuletzt sei mit dem "Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz" (GKV-FKG) 2020 die sogenannte Manipulationsbremse eingeführt worden, heißt es in der Antwort (20/14678) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (20/14442) der Unionsfraktion.

  • Souveräne Dateninfrastruktur

    Die Bundesregierung strebt eine effiziente, wirtschafts- und innovationsfreundliche Umsetzungsstruktur der europäischen KI-Verordnung an, die knappe Ressourcen klug einsetzt. Das antwortet die Bundesregierung (20/14421) der AfD-Fraktion auf eine Kleine Anfrage (20/14109).

  • FDP legt Gesetzentwurf für flexibleres Stromsystem

    Die FDP-Fraktion hat den Entwurf eines Gesetzes (20/14705) zur "Integration von Photovoltaik- und anderen Erneuerbare-Energien-Anlagen in den Strommarkt und zur Vermeidung solarstrombedingter Netznotfall-Maßnahmen" vorgelegt. Er soll einerseits der Umsetzung der "Wachstumsinitiative der damaligen Bundesregierung vom Juli 2024 dienen.

  • Fairer Wettbewerb im digitalen Sektor

    Bis zum 5. Dezember 2024 haben die Koordinierungsstelle für digitale Dienste in der Bundesnetzagentur (BNetzA) 747 Eingänge von Beschwerden erreicht. Bereinigt um Irrläufer und Spam seien 703 konkrete Beschwerden zu möglichen Verstößen gegen den Digital Services Act (DSA) eingelegt worden.

  • Provisionsverbot noch nicht absehbar

    Ob beziehungsweise inwieweit im Zuge der nationalen Umsetzung der EU-Kleinanlegerstrategie national Maßnahmen ergriffen werden könnten, um Provisionen für den Abschluss von Versicherungsverträgen zu verbieten oder zu deckeln, ist noch nicht absehbar. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/14411) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (20/14172) weiter mitteilt, haben die Trilogverhandlungen auf europäischer Ebene noch nicht begonnen.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen