Weniger gesellschaftlicher Wettbewerb?


Demografischer Wandel: Zwischen Sorge und Gelassenheit
Wird die alternde Gesellschaft weniger innovativ und wachstumsorientiert sein?


(12.07.11) - Eher pessimistisch geprägte Sichtweisen und eher optimistisch gestimmte Prognosen im Blick auf eine zunehmend älter werdende und schrumpfende Bevölkerung prallten in der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" aufeinander. Bei einer Debatte über die in den nächsten Jahrzehnten heraufziehende demografische Herausforderung erklärte der Experte Meinhard Miegel, die alternde Gesellschaft werde weniger innovativ und wachstumsorientiert sein.

Hingegen sagte der Sachverständige Norbert Reuter, angesichts des fortschreitenden Produktivitätszuwachses und der zu erwartenden Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) seien die mit Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung verbundenen Probleme "bei entsprechendem politischen Willen lösbar".

Der Experte Christoph Schmidt betonte ebenfalls, wegen der höheren Arbeitsproduktivität und der künftigen Zuwachsraten beim Wachstum sei "keine Panik angesagt".

Zwar sei das Phänomen einer schrumpfenden Bevölkerung in der Geschichte immer mal wieder aufgetreten, so Miegel, "doch eine alternde Gesellschaft mit einem geringen Anteil von Kindern und Jugendlichen ist historisch etwas völlig Neues". Dafür existierten "keine Erfahrungen", "alle stochern mit Stangen im Nebel". Der Professor warnte davor, angesichts einer solchen "qualitativ anderen Gesellschaft" statistische Trends etwa bei der Produktivität oder der BIP-Entwicklung einfach linear fortzuschreiben. Eine alternde Bevölkerung büße an Konsumorientierung ein, Dinge wie Ruhe und Genuss würden wichtiger als das Streben nach einem Mehr an ökonomischem Wohlstand. Es herrsche weniger gesellschaftlicher Wettbewerb, so Miegel, da zum Beispiel Jüngere problemlos in den Arbeitsmarkt nachrücken könnten. Denkbar seien "paradoxe Effekte", wenn etwa trotz wirtschaftlicher Einbußen die Leute eine bessere Lebensqualität registrierten. Miegel warb für ein "pragmatisches" Herangehen an die sich abzeichnenden demografischen Umbrüche.

Aus Sicht Reuters wird verkannt, dass es auch in einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft zu Produktivitätsfortschritten und Wachstumszuwächsen kommen werde. Bei einem Produktivitätsplus von einem Prozent werde bis 2060 das BIP insgesamt leicht, das BIP pro Kopf sogar deutlich steigen. Sollte es gelingen, die Erwerbstätigenquote auf 80 Prozent zu erhöhen, dann werde diese Entwicklung noch positiver verlaufen. Angesichts solcher Tendenzen gibt es für den Sachverständigen keinen "demografiebedingten Sachzwang" etwa für die Rente mit 69: "Wir können uns der demografischen Herausforderung gelassen stellen." Reuter trat dafür ein, die Bildungschancen für alle zu verbessern, die Beschäftigungsquote Älterer beispielsweise durch mehr Fortbildung zu erhöhen, die Arbeitsbedingungen familienfreundlicher zu gestalten, die Einkommen der Arbeitnehmer zu steigern und Vermögende stärker zu besteuern.

Schmidt sagte, man starte in den demografischen Wandel auf hohem Niveau mit einem hohen materiellen Lebensstandard. Trotz eines in Zukunft drastischen Rückgangs der Zahl der Erwerbstätigen werde sich das BIP pro Kopf weiter erhöhen. Der Experte verwies darauf,, dass die Arbeitsproduktivität mit zunehmendem Alter der Berufstätigen wachse. Schmidt sprach sich für mehr Zuwanderung, für eine Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen, für flexible Regelungen beim Renteneintrittsalter und für eine Aufwertung der Bildungspolitik aus. Finanzierungsprobleme sieht der Sachverständige auf die Sozialversicherung zukommen, die nicht allein über das Wachstum gelöst werden könnten, sondern eine stärkere Konsolidierung der Staatshaushalte erforderten.

In der Debatte gab sich der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein überzeugt, dass die heutigen und künftigen 50- bis 60-jährigen aktiver und dynamischer sein werden als früher. Angesichts einer höheren Lebenserwartung werde in diesem Alter die Bereitschaft wachsen, neue Projekte anzustoßen und Investitionen zu wagen.

Auch die SPD-Parlamentarierin Waltraud Wolff wandte sich gegen "Defätismus". Eine ältere Bevölkerung könne eine "Erfahrungsgesellschaft" hervorbringen. Ältere Leute wollten sich aktiv in die Gesellschaft einbringen. Wolff: "Der technische Fortschritt wird rasant zunehmen."

Der Sachverständige Karl-Heinz Paqué sagte, historisch sei belegt, dass gerade in Zeiten von Arbeitskräfte- und besonders von Fachkräftemangel der Wille zu technischen Neuerungen stärker werde und Produktivitätsschübe zu verzeichnen seien. Der Experte Ulrich Brand kritisierte Versuche, "düstere demografische Prognosen" für eine Politik des Sozialabbaus zu instrumentalisieren.

Die Abgeordnete Kerstin Andreae (Grüne) rief dazu auf, die "hohen Kosten" genauer unter die Lupe zu nehmen, die der demografische Wandel für die sozialen Sicherungssysteme mit sich bringe. Dabei müsse auch diskutiert werden, ob zusätzliche Einnahmen für den Staat erforderlich seien. (Deutscher Bundestag: ra)


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